Kinotypen im Wandel der Zeit: zielgruppenorientierte Profilierung und Neuentwicklung

Landfilm – Mobiles Kino mit Schwierigkeiten

In den 1950er Jahren war neben der Anpassung der stationären Kinos an technische Standards der Ausbau der mobilen Landfilmbespielung dringlichste Aufgabe. Wurde zunächst das Spielstellennetz erweitert, ging man ab 1962 dazu über, Dorfkinos mit fest installierten Projektoren und Leichtbau-Trennwänden zur Lärmabschirmung, also mit provisorischen Vorführräumen, einzurichten, um die Qualität der oft unter schlechtesten Bedingungen ablaufenden Vorstellungen zu verbessern.
Da der Anfang der 1960er Jahre einsetzende Besucherschwund beim Landfilm stärker war als in stationären Filmtheatern, schränkten die BFDen die Filmbespielung der Landgemeinden immer weiter ein. Gründe waren neben zunehmender Mobilität, höheren Einkommen der Bevölkerung und der einfacheren Spielfilmrezeption mittels "Heimkino" auch lichtspielweseninterne Faktoren wie der miserable Zustand von Fuhrparks und Projektoren, Mangel an Filmvorführern, das sogenannte VK-Limit ("Vergaserkraftstoff") und vor allem die den Ansprüchen nicht mehr standhaltenden Spielorte. Nur in infrastrukturell schlecht gestellten Gegenden, etwa den Bezirken Frankfurt/Oder, Cottbus, Rostock und Schwerin sowie den Kreisen Freiberg und Brand-Erbisdorf (Bezirk Karl-Marx-Stadt) behielt man die altbekannten Landfilmtouren bei, allerdings in abgespecktem Umfang. Im Rest des Landes verlagerte sich der Schwerpunkt zum Filmabspiel in "Ballungszentren der Landwirtschaft" und zur mobilen Versorgung "gesellschaftlicher Partner", d.h. auf Wunsch zeigte man in Lehrlings- oder Erholungsheimen, Jugendklubs oder bei Dorffesten Filme. Entsprechend änderte sich auch das Filmangebot von NSA-Wiederaufführungen (Reprisen) hin zu Feiern und Bildungsarbeit unterstützenden (Kurz-)Filmen.

Filmvorführstätten für Urlaubs- und Naherholungsgebiete

Strandkino in Flecken Zechlin; Original: Tröger Autokino Zempow; Original: Tröger
Strandkino Flecken Zechlin (l.) und Autokino Zempow bei Rheinsberg; Originale: Tröger

Als neue Besuchermagnete zogen die seit etwa 1963 errichteten Freilichtbühnen Teile der Bevölkerung an, die "sonst wahrscheinlich nicht mehr erfaßt worden" wären, und halfen so beträchtlich bei der Planerfüllung im Sommer. Nach Einführung der Sommerzeit allerdings gestalteten sich abendliche Freilichtveranstaltungen schwierig, weil sie später beginnen und enden, die meisten Menschen aber arbeiteten und früh aus den Federn mussten. In Urlauber- und Erholungsgebieten (Ostsee, Harz, Thüringer Wald, Brandenburg) baute man Zeltkinos und Kinohallen (als stabilere Variante – Foto eines solchen "Strandkinos" hier), deren Ausstattung jedoch keineswegs Gemütlichkeit aufkommen ließ (beispielsweise war bei prasselndem Regen der Ton schwer zu verstehen).
Die 1970er Jahre dann, gekennzeichnet durch Liberalisierung und zunehmende Bedeutung der Privatheit, brachten sogar das erste Autokino für die DDR (in Zempow bei Wittstock, Bezirk Potsdam) – in der Bundesrepublik waren Autokinos schon in den 1960er Jahren in Mode gekommen.

Angebote für junge Zuschauer

Auch spezielle Kinder- und Jugendfilmtheater wurden in größeren Städten eingerichtet. Filmpädagogische Arbeit in sogenannten Filmschulen leisteten zuerst die Thüringer Bezirke.

Weltfilmkunst und Raritäten

Das erste Wiederaufführungs- bzw. Reprisenkino war ab 1954 das Berliner 'Aladin', das nach einer Umgestaltung im Oktober 1957 als 'Camera' wiedereröffnet wurde. Seit Januar 1963 arbeitete die 'Camera' als reines Archivfilmtheater des Staatlichen Filmarchivs – nach langen Debatten und Kämpfen, initiiert durch einzelne Filmbesessene, die kinematographische Klassiker auf der Leinwand sehen wollten. "Bedingt durch die sich internationalen Trends verschließende Ankaufspolitik des einzigen DDR-Verleihs" nahmen sich 'Camera'-Kino und -programm auch der Aufgabe an, umstrittene (aktuelle), sonst nirgendwo zu sehende Filme zur Aufführung zu bringen (wenn auch zeitlich und örtlich begrenzt), und erreichten dadurch einen Alternativkino-Status. Ab 1968 konnte man das 'Camera'-Programm auch jenseits der Berliner Stadtgrenzen sehen – in Filmkunsttheatern und Studiokinos (Becker/Petzold, S. 288).

Heft zum 'Camera'-Programm; Original: Tröger
Broschüre zum "Camera"-Programm; Original: Tröger

Filmkunsttheater, "kleinere[n] Abspielstätten, die [...] sich in ihren Programmen auf anspruchsvolle Inhalte konzentrierten", öffneten seit Ende der 1950er Jahre als vereinzelte Spontangründungen, ab Mitte der 1960er Jahre dann geradezu flächendeckend über die gesamte DDR verteilt ihre Pforten (ein Foto des Filmkunsttheaters in der Berliner Kastanienallee findet sich hier). Spätestens Anfang 1965 befasste sich auch das MfK mit den Filmkunsttheatern und betonte deren "wichtige Rolle bei der filmgeschichtlichen und filmästhetischen Bildung der Bevölkerung der DDR, insbesondere der Jugend". Diese Wertschätzung von Orten, die nicht nur ein erweitertes Filmangebot und Gesprächsmöglichkeiten bieten sollten, sondern als deren "integrale[n] Bestandteil[e]" auch Filmklubs gesehen wurden, war Teil einer "größeren Kampagne" zur Entwicklung einer Zuschaukunst, zur Erziehung des Kinobesuchers (Becker/Petzold, S. 110/111).

Die seit Mitte der 1970er Jahre in der gesamten Republik eingerichteten Studiokinos können als Nachfolger der Filmkunsttheater verstanden werden. Mit ihnen wurden sehr ähnliche inhaltliche Anliegen verfolgt, sie boten aber eine wesentlich geringere Platzanzahl, nicht selten gastronomische Versorgung und somit günstigere Voraussetzungen für Gespräche.

Eigeninitiativen der Bezirksfilmdirektionen

Auffällig bei vielen neuentwickelten Kinotypen sind die meist von Einzelpersonen, KFSen oder Filmtheaterkollektiven ausgehende Initiative zur Gründung der "Prototypen", wobei die Skepsis der HV Film mit zum Teil ausufernden Erläuterungen zum Nutzen der Kinos im Rahmen der DDR-Kulturpolitik beseitigt werden musste. Es folgten in aller Regel die langsame Ausbreitung neuer Ideen in anderen BFDen und zuletzt der Umschlag von Argwohn zu Duldung oder Begeisterung bei der HV Film, was sich oft in "Empfehlungen" zur flächendeckenden Einrichtung oder zumindest in der allseitigen Befürwortung solcher Kinoformen niederschlug.

Tanja Tröger 2004–2015