Zuständig- und Abhängigkeiten

Hauptverwaltung (HV) Film

Im Gegensatz zu Presse und Rundfunk unterstand das Lichtspielwesen keiner Partei-, sondern staatlichen Instanzen, war aber ebenfalls zentralistisch aufgebaut. Oberstes Leitungsorgan war die Hauptverwaltung (HV) Film beim Ministerium für Kultur. Während die Hauptverwaltung gegenüber den Filmbetrieben (DEFA-Studios etc.) über kultur- und finanzpolitische Macht verfügte, Filmabnahmen durchführte, über Filmankäufe und somit "zumindest indirekt über die Spielpläne der Kinos" (Becker/Petzold, S. 101) entschied, hatte sie den Bezirksfilmdirektionen (BFDen) gegenüber nur eine kulturpolitische Anleitungsfunktion, da diese vom jeweiligen Rat des Bezirkes (RdB) finanziert wurden. Die HV Film (Abteilung Kulturpolitische Arbeit mit dem Film) gab Direktiven zur ideologischen Filmarbeit und anderen Themen heraus, legte den "politischen Status" bzw. den "Wert" der Filme fest, kontrollierte die Planerfüllung, sammelte die Plananalysen aller BFDen, "überwachte" die Durchführung von filmpolitischen Höhepunkten (Festivals, Sommerfilmtage, ausländische Filmtage u.ä.) und organisierte zentrale Konferenzen und Erfahrungsaustausche. Die praktische Durchführung des Kinobetriebes bestimmten die BFDen weitgehend selbst. So ist auch eine gewisse Heterogenität im Lichtspielwesen zu erklären.

Mitarbeitermund tut Wahrheit kund ... oder so; Original: Tröger
Mitarbeitermund tut Wahrheit kund ... oder so ;-); Original: Tröger

Relativ große Spielräume für Kinomacher

Die im Vergleich mit den publizistischen Medien große Freiheit des Kinos dürfte auf der Tatsache beruht haben, dass nach der Entscheidung über Abnahme bzw. Ankauf eines Filmes das künstlerische Produkt im Prinzip alle ideologischen Hürden überwunden hatte. Da es dann nicht mehr verändert werden konnte und das Filmabspiel an sich kein kreativer Prozess ist, bestand aus Sicht der HV Film keine "Gefahr" mehr. Natürlich zeigte sie sich aber interessiert an der Auswertung bestimmter Streifen durch extensiven Einsatz oder intensive Gespräche mit Zuschauern: "Die haben ja immer politisch gedacht, ist doch logisch! Sie haben auch gesagt: Das ist ein Film, mit dem müsst ihr arbeiten!", so eine ehemalige Filmtheaterleiterin. Wie dann allerdings die konkrete Gestaltung aussah, blieb den Kreisfilmstellen bzw. Filmtheatern überlassen. Maßnahmen bei "Zuwiderhandlung" waren Gespräche mit Rüffeln "von oben", Verwarnungen, Disziplinarverfahren, Konventionalstrafen oder ausfallende Prämien bei Nichterfüllung des Planes.

Zunehmende Zentralisierung

"Die Grundlagen für die Strukturen des Lichtspielwesens wurden bereits in den zuendegehenden 40er und in den 50er Jahren gelegt" (Becker/Petzold, S. 100), jedoch auf regionaler Ebene bis 1973 mehrmals verändert.

Die seit 1953 das Lichtspielwesen organisierenden Kreislichtspielbetriebe (KLB) wurden 1963 zu Bezirkslichtspielbetrieben (BLB) zusammengefasst (so wie in Industrie und Landwirtschaft auch Großbetriebe geschaffen wurden), weil sich die sehr kleinen Verwaltungseinheiten als organisatorisch und wirtschaftlich ungünstig erwiesen hatten. Nun konnten beispielsweise Gelder und Bilanzen für Investitions- und Werterhaltungsmaßnahmen besser verteilt werden und ein besserer Niveauausgleich zwischen stark und weniger entwickelten Regionen stattfinden. Wichtigste Amtshandlung in den folgenden Jahren war die Ausdünnung des Spielstellennetzes in einem später nie wieder aufgetretenen Maße, indem man vor allem in Orten mit mehreren Kinos marode Häuser schloss. Die meisten Schließungen fanden 1963/64 statt, die Anzahl der Filmtheater sank von 1206 (1963) auf 973 (1965).

Filmtheater 'Aktivist' Rudolstadt; Foto: Heim
Filmtheater "Aktivist" Rudolstadt; Foto: Heim

Ideologischer Auftrag ab Anfang der 1970er Jahre

Nach dem Machtwechsel von Ulbricht auf Honecker 1971 zeigten sich in den meisten Kulturbereichen gleiche oder ähnliche Tendenzen. Das Fernsehen wurde zunehmend auf Ideologievermittlung durch Popularisierung der SED-Erfolge reduziert – bei gleichzeitiger Entpolitisierung künstlerischer und unterhaltender Sendungen, die vor allem von offensichtlichen Problemen ablenken sollten (Hoff in: Riedel, S. 241). Die Volkseigenen Lichtspielbetriebe (B) wurden 1973 in Bezirksfilmdirektionen umgewandelt. Diese Namensänderung bedeutete, dass die Kinobetriebe keine eigenständigen, nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien geführten Unternehmen mehr, sondern Haushalteinrichtungen der Räte der Bezirke waren, also ihren Haushalt vom jeweiligen RdB gestellt bekamen. Damit rückten Gewinn- und Verlustrechnungen in den Hintergrund, während die BFDen verstärkt politische Aufgaben zu erfüllen hatten – mit der üblichen "dialektischen" Begründung: "Man könnte das mit den Worten von damals sagen: Der Klassenkampf wurde schärfer. [...] Und dann wurden wir [...] quasi mit benutzt, um ideologische Arbeit" zu leisten, erzählt ein ehemals leitender Techniker der Karl-Marx-Städter BFD.

Räte der Bezirke als regionale Geldquellen

Die Anleitungsfunktion der Abteilung Kultur des Rates des Bezirkes wurde für den Rostocker Fall in den Akten wie folgt beschrieben, dürfte aber in den übrigen Bezirken ähnlich ausgesehen haben: "Die Abteilung Kultur des Rates des Bezirkes nimmt durch regelmäßige Anleitung der Bezirksfilmdirektion und der Abteilung Kultur der Räte der Kreise und Städte Einfluß auf die Filmentwicklung im Territorium. Jährlich führt sie zu Beginn der Hauptsaison eine Filmaktivtagung durch, in der Fragen der Planerfüllung, des Wettbewerbs sowie aktuelle Probleme beraten werden."

Die Räte hatten also nur beratende Funktion. Die Bezirksfilmdirektionen besaßen somit Entscheidungsgewalt über alle das Kino betreffenden strategisch-grundsätzlichen Fragen in ihrem Gebiet – natürlich im "von oben" angewiesenen Rahmen: Spielpläne, Investitionen, Rekonstruktionen von Häusern, langfristige Entwicklung der BFD usw. Diese relative Eigenständigkeit bewirkte maßgeblich die sehr unterschiedliche Ausprägung bestimmter Charakteristika, beispielsweise das Engagement für neuartige Filmpräsentationsformen, in verschiedenen Bezirken.

Briefkopf BFD Leipzig; Original: Tröger
Briefkopf BFD Leipzig; Original: Tröger

Bezirksfilmdirektionen (BFDen) und Kreisfilmstellen (KFSn)

Die 15 Bezirksfilmdirektionen (unter denen Berlin wegen der Repräsentationsfunktionen nach innen und außen einen Sonderstatus innehatte) waren nochmals in einzelne Kreisfilmstellen untergliedert. Diese waren für das operative Geschäft zuständig: reibungslosen Vorstellungsbetrieb, Wartung der Häuser, Landfilm, Personalpolitik, Planerfüllung der einzelnen Filmtheater, Veranstaltungsorganisation für Schulklassen, Arbeitskollektive usw.

... und die Partei?

Da auf allen Ebenen der DDR-Verwaltung die Parallelhierarchien "Staat" und "Partei" existierten, unterstanden die jeweiligen BFDen nicht nur ihrem Rat des Bezirkes, sondern auch der entsprechenden Bezirksparteileitung der SED, und die Kreisfilmstellen den jeweiligen Kreisleitungen. Nach dem aus Akten und Gesprächen gewonnenen Eindruck wurden diese über alle Entwicklungen informiert, nahmen an Sitzungen teil, hatten eine Art beratende, begleitende, manchmal Veto-Funktion (durften also beispielsweise die Aufführung regulär zugelassener Filme verbieten, wie es mit der "Legende von Paul und Paula" im Bezirk Rostock passierte; Becker/Petzold, S. 102), fällten aber selbst keine fachspezifischen strategischen Entscheidungen, so dass dieser Bereich bei der Recherche nicht weiter beachtet wurde. Zwei ehemalige Bezirksfilmdirektoren bestätigten den Eindruck, dass die Parteigenossen entgegen allen offiziellen Bekundungen dem Massenmedium Kino relativ wenig Bedeutung beimaßen und wenig Interesse entgegenbrachten. Enorm wichtig waren die Mitglieder der SED-Leitungen dennoch, da sie die Möglichkeiten hatten, in heiklen Angelegenheiten durch Einlegen eines guten Wortes manches in Bewegung zu setzen, was ja gerade für die hier beschriebenen kosten-, material- und personalintensiven Kinorekonstruktionen bedeutsam war.

Tanja Tröger 2004–2013